INTERVIEW IN ASTROLOGIE HEUTE 70/26

 
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“Lilith”

Das Interview führten Sibylle Glanzmann (S.G.) und Armando Bertozzi (A.B.)

 

S.G.: Hannelore Traugott, wie sind Sie auf Lilith gekommen?

Hannelore Traugott: Claude Weiss hat mich dieser Dame irgendwann vorgestellt … Er hat mir von Joelle de Gravelaines Buch „Lilith – Der Schwarze Mond“ erzählt. Ich war auf der Stelle elektrisiert!

S.G.: Was hat Sie dabei angesprochen?

Traugott: (zögert): Das war völlig irrational.

S.G.: Hatte es mit Ihnen persönlich zu tun?

Traugott: (zögert wieder): … Wie gesagt, ich kann es nicht erklären, es gibt keinen rationalen Grund dafür, dass ich auf Lilith sofort „angesprungen“ bin. Auf jeden Fall habe ich mir zuerst die Lilith-Ephemeriden besorgt und angefangen, in meinem eigenen Horoskop herumzuforschen. – Und dann hatte ich ein ganz besonderes Erlebnis mit Lilith …

S. G.: Was war das ?

Traugott: Es geschah eines Nachts in einem Hotelzimmer, ich war hellwach. Da habe ich – so zwischen halb ein Uhr und halb fünf Uhr morgens – begonnen, alles aufzuschreiben, was mir über Lilith durch den Kopf ging. Ich brauchte sämtliches Papier, das ich im Zimmer finden konnte, um alles zu notieren. Nach dieser Nacht begann ich, alle meine Bekannten, deren Horoskop ich bereits hatte, über ihre Erfahrungen in Zeiten mit Lilith-Auslösungen zu befragen. Ich bin diesen Menschen sehr dankbar für die Ehrlichkeit, mit der sie mir Auskunft gegeben haben. Je fündiger ich jedoch bei meinen Forschungen wurde, desto grösser wurden auch die Krisen, die ich durchmachte.

A.B.: Was für Krisen?

Traugott: Ich habe mich immer wieder gefragt, ob das alles, was ich da mache, nicht einfach ein „Schmarren“ ist.

A.B.: Du hast an deiner Forschung gezweifelt?

Traugott: Mit dem Forschen ist es ja so eine Sache. Die Frage ist doch: Mit welchem Blick schaue ich etwas an? – Das Ganze schien sich für mich irgendwann einfach in sich selbst wieder zu bestätigen.

A.B.: Du warst also im Labyrinth, das passt zu Lilith. Wie kamst du da wieder raus?

Traugott: Nachdem ich die ersten Seminare über Lilith gemacht hatte, bekam ich viele positive Briefe, die mich bestätigten und bestärkten. Die Menschen haben mir darin versichert, wie sehr sie sich angesprochen gefühlt haben von meinen Ausführungen über Lilith und dass ich genau den „Punkt“ getroffen habe … Noch immer bekomme ich viele Briefe, etwa von Leserinnen meines Buches 1).

A.B.: Für was braucht es denn überhaupt eine Lilith in der Astrologie?

Traugott: (lacht): Ketzer! Also: Es war natürlich nicht nur meine persönliche Faszination, die mir bestätigte, dass Liliths Bedeutung für die Astrologie wirklich Hand und Fuß hat, sondern auch die vielen Gespräche, die ich mit anderen hatte, vor allem mit Claude Weiss, der – wie bekannt – ebenfalls umfangreiche Forschungen zu Lilith betrieben hat.

A.B.: Was aber ist für dich – astrologisch gesehen – zentral an Lilith?

Traugott: Ich arbeite ja sehr viel mit Lilith, vielleicht, weil ich’s mit den Achsen habe. Dabei erfahre ich bei der Lilith/Priapos-Achse wie auch bei der Mondknotenachse, dass sie wesentliche Faktoren für die astrologische Interpretation sind, deren Thematik ich zwar vielleicht auch sonst irgendwo im Horoskop sehen könnte, aber nicht in dieser Prägnanz. Diese beiden Achsen sind sozusagen Schnittpunkte, an denen eine Bündelung und Zentralisierung der Themen stattfindet.

A.B.: Man kann also auch ohne Lilith arbeiten?

Traugott: Natürlich! (lacht). Ich habe keinen Missionsdrang!

A.B.: Es gibt nun bekanntermassen Leute, die beschäftigen sich seit langem mit Astrologie, das funktioniert auch. Die sehen aber nicht ein, warum sie sich nun auch noch mit Lilith befassen sollen. – Was sagst du denen?

Traugott: Man muss überhaupt nix! Und es ist wirklich wichtig, das einmal zu sagen! Es ist nur so: Wir verändern uns ja alle ständig. Und wir haben alle einen verschiedenen Zugang zu den Dingen. Es kann nun sein, dass manche durch Lilith sehr berührt werden, weil in ihnen analog dazu etwas in die gleiche Richtung mitschwingt; diese Leute können mit Lilith gut arbeiten, sie fühlen sich von ihr angesprochen. Mi jedenfalls geht es so – für mich ist Lilith ein Schlüssel.

A.B.: Warum aber besteht bei einigen ein Unbehagen gegenüber Lilith?

Traugott: Wenn wir die Zeitqualität anschauen und die anstehenden Themen, so erkennen wir, dass Lilith, der Schwarze Mond, mit verdrängten Themen zu tun hat, mit einer nicht integrierten Dimension, die wieder geweckt werden will. Hier geht es für mich um ein Sündenbock-Thema, um eine Art Heimholung…

A.B.: Der Name „Schwarzer Mond“ impliziert aber auch etwas Dunkles, vielleicht sogar etwas Negatives, das…

Traugott: …Wie geht es denn dir persönlich mit Lilith?

A.B.: Mich fasziniert sie durchaus … und vielleicht gerade das Dunkle an ihr. Dennoch ist „Schwarz“ für viele Leute gleichbedeutend mit negativ.

Traugott: Eben! Wenn wir Lilith aber heimholen, kann vielleicht auch diese Zuordnung von „Schwarz“ zu „negativ“ hinterfragt werden. Weshalb denn soll Schwarz nur negativ sein? Ich liebe Schwarz! Schwarz hat auch seine lichte Seite.

A.B.: Hier fällt mir das Stichwort „verdrängte Weiblichkeit“ ein. Wenn man es geschichtlich oder gesellschaftlich betrachtet, dann ist gerade in der Zeit der ersten astrologischen Erforschung von Lilith – in den 60er und 70er Jahren – die Frauenemanzipation sehr aktuell geworden. Wie siehst du das?

Traugott: Ich würde Lilith heute nicht mehr so interpretieren. Das mag gestimmt haben vor zehn oder fünfzehn Jahren. Ich glaube, wenn etwas Verdrängtes wieder zurückkommen darf, dann zeigt es am Anfang auch seine destruktiven Seiten – das ist aber oft nur Verletztheit. Und so sehe ich das auch in diesem Fall: Ich schätze den Feminismus sehr, aber man muss aufpassen, dass man nun nicht mit „Lilith-Clubs“ oder ähnlichem enau das stützt, was man eigentlich überwinden wollte … Du verstehst?

A.B.: Dass man sich wieder abspaltet?

Traugott: Ja. Ich würde heute auch nicht mehr einfach von „verdrängter Weiblichkeit“ reden, ich sehe das heute mehr als Qualität, als das Yin-Hafte. Ich bin sowieso sehr vorsichtig geworden bei der Zuordnung von Eigenschaften zu „männlich“ oder zu „weiblich“, das führt zu einem geschlechtlichen Denken, das ich eher vermeiden möchte.

A.B.: Aber hat Lilith nicht doch eine andere Bedeutung für einen Mann als für eine Frau?

Traugott: Ja, absolut. Aus den Rollen heraus.

A.B.: Und worin besteht dieser Unterschied?

Traugott: Bei Männern ist oft eine Faszination an Lilith vorhanden, die allerdings zugleich von Anziehung und Abstoßung geprägt ist. Lilith erinnert sie einerseits an etwas Dämonisches, aktiviert Kastrationsängste. Andererseits hat Lilith, von der wir uns das Bild eines Vollweibes machen, bei Männern offensichtlicher mit dem Begehren, über ein Du ganz zu werden, mit der Sehnsucht nach Vollständigkeit zu tun, genauso natürlich mit der Sehnsucht nach Regress und dem Verschlungenwerden, was wiederum Angst macht. Ich erlebe oft, dass manche Männer schneller einen Zugang zu Lilith finden als Frauen. Vielleicht ist das deshalb so, weil wir uns dem, was scheinbar außen liegt, voll widmen können, indem wir begehren, durchdringen wollen, eindringen wollen und so voll hineingehen – was ein erotischer Akt ist. Es gibt beispielsweise viel mehr berühmte Köche als Köchinnen … Bei Frauen hingegen weckt Lilith häufig Abwehr, wenn sie sehr von tradierten Rollen und Konditionierungen bestimmt sind. Lilith ist natürlich keine Mutterfigur, die an eine kuschelige Mami erinnert – sie ist eine sexuelle Frau. Für Frauen ist es bezüglich Lilith wichtig, zuerst den Zugang zum eigenen Mysterium zu finden. Und die Sehnsucht auf sich selbst zu richten ist sicher schwieriger, als sie über ein Du zu spiegeln. Das macht die Sache komplizierter…

S.G.: …Weil die Frau das Dunkle mit sich selber identifizieren muss, während dem Mann Lilith in der Außenwelt begegnet, wo er sie erobern kann?

Traugott: Ja, genau. Lilith hat auch etwas zu tun mit dem Zugang zum eigenen Körper. Das Geschlecht des anderen zu entdecken, hat etwas Lustvolleres, als sich gleich dem eigenen Geschlecht zuzuwenden. – Zumindest werden wir in unserer Gesellschaft so konditioniert.

S.G.: Lilith stellt also die dunklen Aspekte der menschlichen Psyche dar. Wo sehen Sie den Unterschied zu Pluto?

Traugott: Pluto ist für mich generell der Herrscher der Unterwelt, ist Hades, ist der Bereich des Schatten. Lilith hingegen ist eine Verbannte, ist eine Verdrängte …

A.B.: … die im Schattenbereich eigentlich am falschen Ort ist?

Traugott: Ja, Pluto ist das Thema des Schattens, er ist generell der Herr der Unterwelt. Von Lilith kann man nicht sagen, dass sie generell in den Schatten gehört. Der Mythos schildert, dass Lilith anfänglich im Paradies zum Menschen gehörte und erst durch Verdrängung in den Schatten geraten ist. Wobei Lilith nicht nur verdrängt worden ist, sie ging auch freiwillig. Sie ist nicht nur das arme Opfer. Übrigens möchte ich nun in Bezug auf Lilith auch nicht immer von „Schatten“ oder „Dunkelheit“ sprechen; besser wäre es, einfach wertfrei von Mondhaftem, von Unbewusstem zu sprechen. Oder vielleicht noch besser von Dagewesenem und jetzt Formlosen. Lilith ging in einen Bereich, für den wir heute keine Formen mehr haben. Wenn ich Lilith vermitteln möchte, muss ich mich immer wieder fragen: Welche Form wähle ich dafür? Es gibt keine Rezepte in diesem Fall. Jedes Rezept wäre auch wieder eine Kastration oder ein Verrat an dem Thema der Lilith.

A.B.: Versuchst du deshalb, Lilith auch durch Bilder zu vermitteln?

Traugott: Ja, damit auch eine nicht ausschließlich logische Ebene mit reinkommt. Wie sich der einzelne Mensch solche Bilder erschließen kann, liegt dann daran, welchen Zugang er selber zu den Bildern des eigenen Unbewussten – eben zu seinen mondhaften Dimensionen – hat …

S.G.: … Und damit auch zu seinen weiblichen Persönlichkeitsanteilen?

Traugott: Ja. Dies ist wohl der Grund dafür, dass Lilith in der Beziehungsthematik ein enorm wichtiger Punkt ist. In meinen Beratungen mache ich diese Erfahrung immer wieder – gerade bei Männern. Ich frage mich oft, warum mir die Männer so viel Intimes erzählen – das ist manchmal wirklich sensationell!

A.B.: Und woran liegt das wohl?

Traugott: Ich glaube, es liegt daran, dass es bei Lilith ja auch um die Angst des Mannes vor dem weiblichen Geschlecht geht. Für die Männer ist es dann wie ein „Heimkommen“, wenn sie erfahren, dass nun gerade diese Angst einmal vom anderen Geschlecht angesprochen wird. Denn diese Angst können die Männer ja auch untereinander schwer besprechen – sie können sich also von dieser Angst auch nicht befreien, weil unter Männern ja auch wieder andere Erwartungen vorherrschen.

S.G.: Also kann Lilith auch eine große Befreiung für die Männer sein?

Traugott: Ja, natürlich! Ich mag diese Haltung auch gar nicht, die darin besteht: Lilith kommt zurück, und jetzt zeigen wir´s den Männern! Ich möchte also bitte nicht in diese Ecke gedrängt werden. Gleichzeitig möchte ich den Feminismus aber auch nicht abwerten. Manchmal werde ich von Frauen in dieser Hinsicht missverstanden, und sie fragen mich: „Ja, war denn der ganze Feminismus umsonst?“ – Natürlich nicht! Aber ich sehe den Feminismus eher als Vorbereitung auf die Aufgaben, die wir heute bewältigen müssen; also als einen notwendigen Entwicklungsschritt. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter ist unerlässlich für reife Beziehungen.

S.G.: Wird im Feminismus nicht oft die Sündenbockrolle einfach an die Männer abgegeben?

Traugott: Ja, und schon herrscht wieder das alte „oben und unten“. Ich glaube, dass Männer und Frauen gewinnen können; beide können sich durch Lilith befreien.

S.G.: Es hat ja allein schon etwas Befreiendes, die Sünde, also das, wofür man sich schuldig fühlt, auszusprechen…

Traugott: Das ist sicher eine Komponente davon. Wenn jemand das, was nur noch halbbewusst, umschattet, geknebelt vorhanden ist, sehr klar anspricht und keine wertende Haltung einnimmt, dann hat das allein schon etwas Befreiendes, und die Dinge können ans Licht gehoben werden. Das hat auch mit Wahrhaftigkeit zu tun: Ertrage ich die Dinge, die da ans Licht kommen, oder gehe ich wieder in die Abwehr? Wir können vor dem Verdrängten auch erstarren wie vor dem Blick der Medusa …

S.G.: Einerseits möchten Sie von Lilith nur in Bildern sprechen, andererseits möchten Sie die Lilith-Themen ans Licht bringen. Ist das kein Widerspruch?

Traugott: Ich glaube nicht. Es ist ein Paradoxon. Ich behaupte ja nicht, dass man beispielsweise bei Lilith-Transiten ganz genau sagen kann, was passiert. Bei einem Lilith-Transit über die Venus kann ich eine wunderbare Begegnung haben, wo mir vielleicht wieder einmal das entgegenkommt, wonach ich mich sehnte und was mir fehlte. Dann wird mir das, was mir gefehlt hat, so enorm bewusst, dass ich den Spiegel der Lilith natürlich als wundervoll erlebe. Es kann aber auch das Gegenteil passieren: Vielleicht lebe ich in einer sehr sterilen, kontrollierten und kastrierten Beziehung, also in einem großen Macht-Missverhältnis – dann wird der Spiegel der Lilith vielleicht ein sehr schmerzhafter sein. Die Frage ist dann einfach: Gehe ich wieder auf die Anklageseite und schiebe dem Du die Schuld zu, oder kann ich diese Erfahrung einfach mal reinnehmen und sie zulassen.

A.B.: Also ein Abschied von der Projektion?

Traugott: Bei Lilith geht es immer um die Frage der Selbst-Akzeptanz; bei Auslösungen erleben wir häufig einen Imageriss, eine narzisstische Kränkung, eine Aufforderung, ein Bild von mir fallen zu lassen, um meinem wahren Selbst wieder näher zukommen. Es geht um die Wahrhaftigkeit: Kann ich meinen eigenen Anblick im Spiegel aushalten, ohne wieder in die Abwertung zu verfallen, ohne entweder den anderen oder mich selber zu verbannen? – Manchmal, wenn ich morgens in den Spiegel schaue und eben noch ganz gut drauf war, erschrecke ich und denke: Um Gottes willen, jetzt ist alles dahin … [lacht].

A.B.: Wenn der Dämon dich anstarrt … Ging mir auch schon so.

Traugott: Es geht einfach nur darum, den eigenen Anblick auszuhalten und zu sagen: Es ist zwar schmerzhaft, aber … [zögert].

A.B.: … aber ich halte es gerade noch aus?

Traugott: Ja. Wenn ich es gerade noch aushalte, dann ist der erste Schritt schon getan.

A.B.: Was einem hier, im Spiegel, entgegentritt, hat ja mit dem Unbewussten zu tun. Du hast das vorher die „mondhaften Dimensionen“ genannt. – Wie würdest du nun das Verhältnis von Mond und Lilith beschreiben?

Traugott: Ich denke, wenn ich zum Mondhaften ein gestörtes Verhältnis habe, ist es um so schwerer, zu Lilith einen Zugang zu finden. Aber es fällt mir schwer, wie ihr vielleicht bemerkt, hier ein „Rezept“ zu geben. – Worte sind eigentlich gegen das Prinzip der Lilith. Es ist ähnlich wie bei Neptun: Wenn man ein solches Prinzip ausspricht, bleibt schon ein wesentlicher Teil draußen. Das ist ja auch immer die Schwierigkeit beim Vermitteln der Lilith.

A.B.: Um die Sache etwas griffiger zu machen: Würdest du sagen, dass Lilith der elfte Planet ist?

Traugott: Nein. Es ist kein Planet.

A.B.: Würdest du die Entdeckung der Lilith in Zusammenhang bringen mit dem Wechsel vom Fische- ins Wassermannzeitalter?

Traugott: Zu dieser Frage habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es ist auch beim Antritt in ein neues Zeitalter klar, dass wir zuerst die Sündenböcke des alten heimholen müssen, sonst steht das neue auf einem modrigen Fundament.

A.B.: Ordnest du Lilith einem bestimmten Tierkreiszeichen zu?

Traugott: Nein.

S.G.: Sie sehen Lilith also so ähnlich wie eine Mondknotenachse?

Traugott: Ja, ich behandle Lilith als eine Achse und eine Dynamik auf der Achse, die etwas sehr Wesentliches aussagt.

A.B.: Wie würdest du diese Achse beschreiben?

Traugott: Ich verwende hier die Analogie der Lilith zur Schlange. Das hat sich irgendwie aufgedrängt. Baum oder Stab entsprechen der Achse, auch die Schlange, die auf- oder absteigt, bezeichnet die Achse. Die Achse hat zwei Enden: auf der einen Seite Verstrickung, auf der anderen Entstrickung; hier große blinde Flecken, dort Quantensprünge; hier Verleugnung, dort Heimholung von Verleugnetem …

A.B.: Ein Spiel der Polaritäten?

Traugott: Oft wiederholen wir unsere Themen aber nur – wie eine Schlange, die sich selber in den Schwanz beisst. Wenn wir daraus herausfinden und anfangen, eine Spirale anstatt einen Kreis zu drehen, dann ist das das Größte!

S.G.: Nun heißt der Gegenpunkt zu Lilith „Priapos“ – können Sie uns dazu etwas sagen?

Traugott: Ich gehe an den Priapos über die Mythologie heran; Priapos verbinde ich etwa mit Dionysos oder mit Eros – mythologische Gestalten, die auch sehr viel mit dem Weiblichen zu tun haben … mit Fruchtbarkeit beispielsweise. Priapos ist, wenn wir es geschlechtlich sehen, ein Gegenpol zu Lilith. Und Dionysos ist ein androgyner Gott, der sowohl Männliches als auch Weibliches repräsentiert. Auf jeden Fall ist hier das Thema der Gegensätze, der Androgynie und der Ganzheit angesprochen. Ich nenne diese Achse im Horoskop deshalb eine sehr erotische …

A.B.: Androgynie und Ganzheitlichkeit bedeuten für dich also auch Ebenbürtigkeit der Geschlechter?

Traugott: Mir ist das sehr wichtig! Dieser Punkt gibt eine Chance zur Ebenbürtigkeit. Und aus der heraus Spannung, Kreativität …

A.B.: Und wenn wir hier noch die Erotik dazunehmen, so sind wir beim Thema Beziehung. Glaubst du, dass eine Ebenbürtigkeit in der Beziehung möglich ist?

Traugott: Ich will das glauben. Ich glaube es auch. Das ist ja eine Sehnsucht von beiden Geschlechtern. – Oder?

A.B.: Hoffentlich … Hier kommt mir Ingeborg Bachmann in den Sinn, die Klagenfurter Dichterin. Kennst du sie?

Traugott: Ja.

A.B.: In ihrem Werk ist viel drin von Lilith: in den Gedichten etwa oder in „Malina“, besonders im Mittelteil, wo sie ganz eintaucht in diese Lilith-Thematik. Ingeborg Bachmann hat nicht (mehr) an eine ebenbürtige Beziehung zwischen Mann und Frau geglaubt…

Traugott: Ich denke, die Verschiedenheit von Mann und Frau ist ja auch wichtig. Lilith hat die paradiesische Harmonie in Frage gestellt: Manchmal müssen wie einfach eine Harmonie in Frage stellen, damit eine Entwicklung möglich ist. Wenn ich also von einer möglichen Harmonie der Geschlechter spreche, so meine ich, dass zwar die Verschiedenartigkeiten betont und gestärkt werden, aber dass sie so zueinander schwingen, dass ein Gleichklang entsteht, nicht einfach so eine „Sauce“ …

A.B.: Ich spreche vom Machtkampf der Beziehung.

Traugott: Natürlich, wenn dieses totale Sich-ineinander-Verbeissen tattfindet, diese Machtkämpfe, dieses „oben und unten“, ist da schlimm. Anstatt dem Partner zu sagen: Es ist wundervoll dass du dominant bist – ich bin es auch gerne! In einer solchen Beziehung ist dann auch die Hingabe eine ganz andere, ebenso die Hinnahme … Es ist nicht diese weiche „Sauce“.

A.B.: Tönt gut, dem anderen zu sagen, dass man seine Dominanz wundervoll findet. Nur: In der Mythologie frisst Lilith die Kinder auf. Und das heißt für mich: Dieses Prinzip kann auch sehr zerstörerisch sein.

Traugott: Das Kinderfressen findest du auch beim Saturn, nur wirst du nicht erbeben, wenn ich das Wort „Saturn“ ausspreche …

A.B.: Gut – aber beim Wort „kastrieren“ vielleicht schon…

Traugott: [lacht]: Das Kastrieren bezieht sich wieder auf die Angst des Mannes vor der Frau.

A.B.: Ich glaube, du versuchst, Lilith sehr positiv darzustellen.

Traugott: Ist sie auch.

A.B.: Nicht nur. – Bei Pluto beispielsweise könnte man ja auch alles positiv darstellen.

Traugott: Okay, das ist ein gutes Beispiel. Ich hatte mit Pluto ähnliche Erfahrungen gemacht wie mit Lilith, die sehr schmerzhaft waren. Es ist wieder die Frage: Wie gehen wir mit unseren Schmerzen um? Progressiv oder regressiv? Wenn ich ihn annehme und ihn aushalte – wie den Blick in den Spiegel, von dem wir vorher gesprochen habe -, so kann der Schmerz zu einer Art „Surfbrett“ werden für das Neue.

A.B.: In einer Beratung kannst du das zwar sagen, aber möglicherweise hilft das nichts, wenn jemand im Schmerz drinsteckt. – Der Schmerz kann sehr zerstörerisch sein, wenn man ihn nicht aushalten kann.

Traugott: Danke! Das ist ein wichtiger Punkt. Der Schmerz kann zerstörerisch sein, wenn ich ihn nicht aushalte.

A.B.: Was ich meine: In der Beratungssituation ist es üblich, aufzudecken. Nur, das reicht vielleicht nicht. Wenn der andere nämlich in Not ist – seine Beziehung ist beispielsweise im Eimer -, dann geht es vielleicht nicht darum, aufzudecken, sondern die Frage heißt: Kannst du ihn halten in seinem Schmerz? – Das bedeutet Nähe.

Traugott: Eine astrologische Beratung ist keine Therapie und auch kein Ersatz für die tröstende Begegnung mit einem geliebten Menschen. Die Grenzziehung ist hier sehr wichtig – und nicht immer leicht. Wir können einen wunden Menschen jedoch auch in einer Beratungssituation sehr gut erreichen, wenn wir unseren Schmerz gut kennen und akzeptieren. Dann ist etwas Verwandtes da. Die Anerkennung des Schmerzes ist ein wesentlicher Punkt, der mit Lilith zu tun hat. Es geht nicht darum, den Schmerz schnell wegzumachen, sondern mitzutragen. Und unsere Ohnmacht zu akzeptieren, da wir so auch unsere Macht wieder spüren und verantwortungsvoller damit umgehen. Ich habe eher die Erfahrung, dass es etwas Ermunterndes und manchmal auch Heilendes hat, gemeinsam den Schmerz anzuschauen.

A.B.: Meinst du das mit dem „Surfbrett“: Schaut, der Schmerz ist gut, es geht dir nachher bald viel besser?

Traugott: Bei so einem „Surfbrett“ denke ich an Honolulu, und so stelle ich mir Lilith nicht vor. Ich meine einfach das „Getragenwerden wie auf einer Welle“, wenn ich den Schmerz aushalte.

S.G.: Letztlich ist ja Lilith/Priapos auch eine sehr vitale Achse. Vielleicht ist eine große Lebenslust gar nicht möglich ohne die Erfahrung des Gegenteils?

Traugott: Das meine ich auch.

A.B.: Zurück zum Thema Beziehung: Glaubst du, dass die Zweierbeziehung – man spricht auch von der „Kiste“ – ausgedient hat?

Traugott: Das Auftauchen der Lilith korrespondiert, da bin ich wirklich überzeugt, mit neuen Beziehungsformen, unter anderem auch mit der stärker werdenden Akzeptanz der Homosexualität und der Auffassung, dass wir auch in der geschlechtlichen Beziehung Erfüllung finden können. – Auch hier findet die Heimholung eines Sündenbockes statt.

A.B.: Hast du in deinen Beratungen Markantes festgestellt bezüglich Lilith-Themen und Homosexualität?

Traugott: Ich habe gesehen, dass bei Homosexuellen die Lilith oft sehr dominant steht, auch bei Bisexuellen; oft steht sie da im ersten Haus.

A.B.: Ist das ein Rezept?

Traugott: [lacht]: Nein. Ich möchte nochmals betonen, dass wir uns trauen sollten, zu Lilith „hinzuspüren“. Das heißt: Wir können sie nur vage beschreiben, wir müssen sie selber erfahren. Schließlich kann man ja auch keinen Orgasmus beschreiben. Ich weigere mich einfach, genaue Beschreibungen von Lilith zu liefern oder Rezepte zu geben, wie man mit Lilith umgehen kann, ohne dass persönliche Erfahrungen dazu genommen werden.

A.B.: Hannelore Traugott, vielen Dank für dieses rezeptlose, aber doch würzige Gespräch.