INTERVIEW IN MERIDIAN

 
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Wie sind Sie persönlich erstmals mit Lilith-Themen in Berührung gekommen, und was hat Sie dazu veranlasst, darüber ein Buch zu schreiben?

Traugott: C.G.Jung hat angeblich einmal gesagt, wir suchen uns nicht unsere Arbeit aus, sondern unsere Arbeit sucht sich uns aus.
Was Lilith betrifft kann ich das voll unterstreichen. Als mir Claude Weiss vor zehn Jahren von französischen Astrologen erzählte, die damit arbeiten, stürzte ich mich in das Thema, oder das Thema fiel in mich. Der Mythos berührte mich, ich besorgte mir Ephemeriden und begann zu forschen. Ich habe mein eigenes Horoskop tief durchforstet, das von Freunden, Bekannten, Astrologieschülern usw. Je mehr ich fündig wurde, desto hitziger ging ich das Thema an. Dann erlebte ich notwendige kalte Duschen, doch schön langsam kam ich in eine Stabilisierungsphase. Meine Forschungen sind noch nicht abgeschlossen, mein Leben ist ja auch noch nicht abgeschlossen, das Ganze ist ein aktiver und passiver Akt zugleich. Ich dringe ein, insistiere, denke, studiere, analysiere und parallel dazu passiert es, ich ziehe Menschen und Ereignisse an, habe Bilder und Träume, über die ich begreife, empfange. Ich weiß noch immer viel zu wenig über Lilith und weiß doch schon eine Menge darüber, es gehört irgendwie zu mir. Daß ich das Buch geschrieben habe, hat einen profanen Grund. Der Verlag hat angefragt, ob ich es mache. Das Schreiben fiel mir streckenweise sehr schwer, da es nicht das tauglichste Mittel ist, Lilith nahezubringen. Also habe ich viele Bilder, Geschichten und Metaphern verwendet, um die Atmosphäre des Schwarzen Mondes greifbarer zu machen. Wer rezeptartig nachschlägt, landet hier schnell im Nebel. Nur – es anders zu machen, wäre mir wie ein Verrat an dem Thema erschienen.

Welche sind für Sie die wichtigsten Schlüsselbegriffe, mit der Sie die Bedeutung von Lilith im Horoskop kurz umreißen würden?

Traugott: Lilith steht für etwas, was aus unserem Bewusstsein gefallen ist und heimdrängt. Nennen wir es archaische Energie, spirituelle Weiblichkeit, das Wissen der Göttin oder wie immer auch, solange wir keinen Zugang zu dieser Kraft haben, erleben wir hier, psychologisch interpretiert, Verlust, Unterdrückung, Einsamkeit, Leere, Sucht und vor allem Machtkämpfe. Nehmen wir „Schwarzer Mond“ wörtlich, so steht schwarz für etwas nicht Sichtbares, für Verborgenes, für ein Tabu. Die Welt des Mondes korrespondiert mit der Welt des sogenannten Weiblichen, wir verbinden damit Seele, Gefühl, Sippe, Natur und natürliche Prozesse wie Werden und Vergehen, Leben und Sterben. Wenn wir nun von der Annahme ausgehen, dass wir Lilith verloren haben, dass sie in unserem patriarchalen Weltbild ein Schattendasein führt, dass wir ihre Inhalte oft unterdrücken und abspalten, so ist naheliegend, dass sich diese Knechtschaft häufig über Krisen oder Schmerz ausdrückt. Dies zementiert leider den Ruf, bei Lilithtransiten stehen immer nur leidvolle Lebensthemen an und solange wir diese Vorstellung nähren, nehmen wir Welt auch so wahr. Doch manchmal lässt sie uns auch in den Himmel blicken, um uns zum Leben zu verführen. Solange wir jedoch Wille und Kraft nicht aufbringen, Integrationsarbeit zu leisten und Hingabe zu entwickeln, was auch bedeutet, sich mit der Dunkelseite des Lebens auseinanderzusetzen, haben wir keinen Zugang zu ihrem Mysterium. Lilith tritt als Initiatorin auf; manchmal mit aggressiv herausfordernden Zügen, manchmal jedoch auch wunderbar, indem sie uns Erfahrungen großer Verbundenheit zukommen lässt, bevorzugt über Beziehungen. Sie stachelt uns in jedem Fall zum Leben an. Wenn wir einen Zugang zu ihr finden, können wir Spaltungen aufheben, Anästhesierungen auflösen, Leben bejahen, weiser werden, Mysterien begreifen und auch akzeptieren, dass wir sie nicht begreifen, dass sie immer welche bleiben. Wo wir Lilith im Horoskop haben, gibt es oftmals blinde Flecken, eine Leere, ein Vakuum, und folglich existiert hier ein großer lunarer Hunger, wo wir häufig am anderen zerren, damit er uns mit dem ausstattet, was wir in uns selbst in die Wüste geschickt haben. Vielleicht auch einfach vergessen haben. Oder wo wir in die Wüste geschickt wurden, ein Sündenbock, ein Opfer sind. Radikalität, Unbedingtheit, Unterdrückung, Empörung, Verdrängung, Erwachen, Spiritualität, Leben, Tod, Sexualität und Macht, all diese Begriffe sind hier angebracht. Können wir hier Bewusstsein erlangen und Kanäle freilegen, ist dies ein Punkt der Weisheit und enormer Kraft.

Bei der Lilith – Berechnung kann zwischen der „wahren“ und der „mittleren“ Position unterschieden werden. Mit welcher Lilith-Position arbeiten Sie und warum?

Traugott: Mit der „mittleren“. Ich finde, man kann mit diesem Wert sehr exakt arbeiten. Ich bin immer wieder überrascht, wie gering der Orbis bei zeitlichen Auslösungen ist und dies bestätigt mir meine Wahl. Dies hat mich auch nie veranlasst, mit dem „wahren“ Wert zu forschen, ich kann dazu wenig sagen.

Welche besonderen Erfahrungen haben Sie mit der Lilithstellung bzw. mit Lilith-Transiten in Ihrem eigenen Horoskop bislang gemacht?

Traugott: Meine Lilith steht in Skorpion im 7. Haus, in Konjunktion mit meiner Venus. Verständlicherweise finden hier Begriffe wie Beziehungsmachtkampf, Sexualität und Macht, Ringen um Gleichwertigkeit, sexuelle Initiation sowie Integration weiblicher Mysterien im Leben von Mann und Frau großen Widerhall. Ich kenne natürlich dieses Initiatorin sein oder ständig initiiert werden wollen. Dieses mich im Spiegel erwecken, tiefes Berühren und Berührtwerdenwollen, hatte und habe hier blinde Flecken, ziehe folglich oftmals dieselbe Furche, ringe um Unabhängigkeit, fordere oft statt zu trauern, finde mich selbst nach geglückter Trauer, lerne so leben und lieben, kenne hier Tiefe und Erwachen, Himmel und Hölle. Gerade bei Lilithtransiten habe ich oft Menschen angezogen, wo leidenschaftliche Verstrickungen, leidvolle Entstrickungen und wunderbare Heimholungen stattfanden. Letzteres vielleicht nur zwei-, dreimal, doch dahinter steckten jahrelange Arbeit und wahrscheinlich passiert das nicht so oft im Leben. Nur, meinen spirituellen Weg gehe ich bevorzugt über Beziehungen.

Welche Hoffnungen und Wünsche verbinden Sie mit der Lilith-Pluto- Konjunktion zur Sonnenfinsternis im August ’99? Wie sollte sich diese Konjunktion kollektiv ausdrücken?

Traugott: Ich möchte die Konjunktion vor dem Hintergrund des Zeichens Schütze deuten, was Themen wie Glaubensfragen, Meinungsfreiheit, Religion, kulturelle Zugehörigkeit, Toleranz, Fanatismus, Fundamentalismus usw. aufwirft und ich denke, dass wir hier unseren Schatten begegnen. In diesem Prozess befinden wir uns schon verstärkt seit Pluto im Schützen steht und Lilith wird diese Bereiche vorerst radikal aufladen. Derzeit regiert hier viel Angst und aus der heraus stecken die Menschen die Grenzen enger. Gerade in unserer Zeit mit den rasanten Entwicklungen fürchten sie um den Verlust ihrer Identität und unsere Glaubenssätze sind nun einmal sehr identitätsstiftend. Doch ich glaube, der dunkle und der lichte Pol manifestieren sich immer gleichzeitig. Die Spannungen werden sich verstärken, die Chancen auf Heimholung und Integration ebenfalls. Der Kentaur, den wir dem Schützezeichen zuordnen, ist ein Symbol für ungehemmte Wildheit, Spaltung und große Spannungen, genauso jedoch für Weisheit, Bildung, Heilung, für Schamanimus usw. Hier Spaltungen aufzuheben hieße, eine große archaische Kraft mit Wissen und Bildung, mit unseren neuen Errungenschaften zusammenzuführen, den Hakim in uns entstehen zu lassen, oder Lilith. Dann könnten wir aus Entweder-/Oder-Haltungen aussteigen, z.B. im Bereich von Medizin, Religion, Pädagogik usw., so könnte jeder seinen Weg gehen, ohne Abwertungen oder Verfolgungen ausgesetzt zu sein. Im Gegenteil, wir könnten voneinander lernen, Was ich mir wünsche ist schlichtweg Toleranz.

Was würden Sie unseren Leserinnen und Lesern empfehlen, um mit ihren persönlichen Lilith-Themen in Kontakt zu kommen?

Traugott: Was soll ich dazu sagen? Ich kann es nur so empfehlen, wie ich es gemacht habe, ich verstehe es nicht besser. Also siehe oben, Frage eins. Zu durchdringen, forschen, lesen, lernen, üben, Wahrnehmung schulen, vielleicht sich beraten lassen, jedoch immer auch auf die innere Stimme hören, hineinzuhorchen, was klingt an, was berührt mich, zu schauen, wofür bin ich empfänglich, Träume aufzuschreiben, speziell bei Auslösungen von oder durch Lilith, welchen Menschen begegne ich jetzt, was lösen sie aus, welche Anziehung, welche Abstoßung wirkt, Ängste anspüren, sie nutzen lernen, und vor allem leben, leben, leben…